Tabula Rasa

eternal sunshine of a spotless mind

2022
Plastik
Konzept, Keramik
ca. 16 x 8 cm

Preise

Ich hätte gern Gorillaglas für meine Resilienz; Adblocker und Flugzeugmodus für’s Reallife.
Ich halte es für wichtig sich die ganze Scheiße zu geben und denke gleichzeitig man muss sich nicht jede Scheiße geben. Weiterentwicklung durch Wissen, Erfahrung und Austausch ist gut, aber manchmal würd ich gern Andere auf stumm und mein Hirn auf Durchzug schalten.

Die Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit Wissen und Austausch, der Sehnsucht Tabula Rasa zu machen und der Erkenntnis, wie naiv das wäre und wie unabdingbar alle Fassetten einer Sache sind, um Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Der ganze Text ist weiter unten zu lesen.

Konzept

Vorweg: Links sind nur wegen direkter Zitate angegeben, viele meiner eigenen Aussagen haben keine Quellenangaben.

1 Tabula Rasa
2 eternal sunshine of a spotless mind
3 Kultur, Keilschrift bis Smartphone
4 Globales Bewusstsein und doomscrolling
5 Debattenverschiebung und cancel culture

1
„Der lateinische Ausdruck tabula rasa […] bezeichnet ursprünglich eine wachsüberzogene Schreibtafel, die durch Abschaben der Schrift geglättet wurde und wie ein unbeschriebenes Blatt neu beschrieben werden kann.

Im übertragenen Sinne bedeutet tabula rasa so viel wie „leer und aufnahmebereit wie ein unbeschriebenes Blatt“. In der Philosophie wurde mit dieser Metapher die Seele (als Ort der Erkenntnis der Menschen) in ihrem ursprünglichen Zustand bezeichnet, bevor sie Eindrücke von der Außenwelt empfängt. Auch in der Psychologie wird die Frage gestellt, ob die Psyche oder das Gehirn des Menschen anfänglich einem unbeschriebenen Blatt gleicht, das im Lauf des Lebens beschrieben wird. Mit der Redewendung Tabula rasa (machen) wird in anderen Zusammenhängen ein radikaler Neubeginn angesprochen.“https://de.wikipedia.org/wiki/Tabula_rasa

2
Der Film „eternal sunshine of a spotless mind“ aus 2004 dreht sich um ein Liebespaar und der fiktiven Technik einer Arztpraxis, die auf Wunsch schmerzhafte Erinnerungen im Gehirn löschen kann. Der Film zeigt den Rezipient*innen, dass Erinnerungen nicht einzelne löschbare Daten sind. Sie Formen unsere Persönlichkeit und unser Bewusstsein. Menschen brauchen alle Erfahrungen, gute wie schlechte um zu lernen und zu wachsen. Erinnerungen ernsthaft zu löschen hätte unabdingbar eine Vernichtung der Person zur Folge, weil die Erinnerungen die Person erst definieren und formen. Der Film zeigt auch die menschliche Natur, nichtsahnend die gleichen Fehler erneut zu machen, wenn die Erinnerung an jenen Fehler gelöscht werden würden. Nachdem das Paar ihre Erinnerungen an ihre schöne und schmerzhafte gemeinsame Zeit gelöscht haben, sind sie wieder die selben Menschen wie zuvor, lernen sich erneut kennen und Erleben das Gleiche erneut.

3
Es gibt viele Meilensteine der menschlichen Zivilisation. Für diese Arbeit interessierte ich mich für die Folgenden.

„Etwa 2300 v. Chr. wurde eine Karte in die sogenannte Tontafel von Nuzi[…], Irak, geritzt. Auf der etwa 7 × 7 Zentimeter großen Tontafel sind Berge, Flüsse und Städte eingezeichnet.“ – https://de.wikipedia.org/wiki/Tontafel
Solche Tafeln ermöglichten Rechnungs- und Steuerwesen.

„Das Scherbengericht […] war in der griechischen Antike ein vor allem aus Athen bekanntes politisches Verfahren, um missliebige oder zu mächtige Bürger aus dem politischen Leben der Stadt zu entfernen. Der Begriff ist abgeleitet von Ostrakon (τὸ ὄστρακον), Tonscherbe, da Bruchstücke von Tongefäßen als „Stimmzettel“ verwendet wurden. Die Teilnehmer ritzten in die Scherben Namen von zu exilierenden Personen ein; nach erfolgter Abstimmung und Auszählung wurde der Meistgenannte für zehn Jahre verbannt. Seinen Besitz behielt der Ausgewiesene; und wenn er später zurückkehrte, konnte er sein Bürgerrecht auch in Ämtern wieder ausüben.“ – https://de.wikipedia.org/wiki/Scherbengericht

„Die Wachstafel ist eine in der Regel hochrechteckige Schreibtafel aus Holz (auch aus Elfenbein oder Metall), die ein- oder beidseitig mit Wachs beschichtet ist. Sie war von der Antike bis in das Mittelalter verbreitet, in wenigen Regionen sogar bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in Gebrauch. Die Schrift wurde mit einem Griffel (Stilus) in die Wachsfläche eingekratzt.“ – https://de.wikipedia.org/wiki/Wachstafel

Papierherstellung, Buchdruck, Strom, Internet, Smartphone näher zu erläutern halte ich an dieser Stelle für überflüssig.

4
Das „Global Consciousness Project“ ist nicht gemeint. Ich nutze den Begriff als Zusammenfassung für die Immerverfügbarkeit des gesamten Wissens der Menschheit durch digitale Vernetzung, Datenbanken, Archive, auch Wikipedia, dem Internet und der Verbreitung von Smartphones. Diese dienen auch als live Verbindung zu allen Menschen (die auch ein Smartphone mit Internet besitzen, was mittlerweile bei ärmsten Schichten in Schwellenländern angekommen ist). Alle Menschen können alles Wissen und sich mit allen austauschen, theoretisch. Das erzeugt eine globale Verantwortung, denn Europäer können nicht mehr ignorieren, dass ihr Handeln Auswirkungen auf andere Länder hat. Menschen in anderen Ländern der Welt wissen ebenfalls um die anderen Zustände der übrigen Länder. Ich sehe darin Gutes, da ich glaube, unsere modernen Probleme können sich nur durch globale ganzheitliche Strategien lösen. Es ist aber auch seelisch hart, da wir nicht mehr wegsehen können.

Die menschliche Psyche interessiert sich für negative Nachrichten mehr als für positives, siehe Negativity Bias. Der AI-Bias sorgt dafür, dass Algorithmen im Internet uns immer das zeigen, was wir unbedingt haben wollen und durch den Negativity Bias, sind das vermehrt negative Nachrichten. Da wir durch Nachrichten(zuvor waren allgemeine Neuigkeiten gemeint, jetzt direkte Meldungen/Textnachrichten anderer Personen), dem „Liken“ von Fotos, Videos, Personen usw. auch noch „Glückshormone“ ausschütten, entsteht eine Art Sucht. Die meisten digitalen Plattformen haben eine unendliche Seite (wenn man alles gelesen hat und ganz unten angekommen ist, laden sich weitere Inhalte, immer weiter ohne Ende). So entsteht doomscrolling, dem kaum endenden Konsumieren schlechter Nachrichten. Das zieht einen natürlich irgendwann runter und es kann der Wunsch entstehen, nicht mehr über die Zustände hinter der Tomate im Supermarkt oder den Schuhen an den Füßen Bescheid zu wissen. Wenn in irgendeinem Land ganz weit weg Bürgerrechtsbewegungen sind, obwohl wir gerade eine gute Zeit in einer Pandemie haben wollen, können wir nicht wegschauen, was stark die Resilienz beanspruchen kann. Nichtsdestotrotz halte ich das für eine positive Entwicklung.

5
Letztlich war ich genervt von der Debattenkultur in Deutschland. Ich unterscheide in Form und Inhalt einer Aussage. Form ist die Art und Weise der Informationsvermittlung, Inhalt ist entsprechend die eigentliche Botschaft.
Generell ist beides legitim zu kritisieren. Dennoch viel mir wiederholt auf, wie ausschließlich über die Form und viel seltener über den eigentlichen Inhalt gesprochen wurde. Die Kritik an der Form mag sicher angebracht sein, aber wenn quasi nie über die Inhalte gesprochen wird, hege ich den Verdacht einer absichtlichen Vermeidung.
Beispielsweise Klimaproteste, bei denen Menschen sich mit Kleber auf Asphalt haften und den Straßenverkehr aufhalten um auf die Klimaveränderung und die nicht-Einhaltung der Gegenmaßnahmen aufmerksam machen. Form ist das Kleben und Verkehr aufhalten, Inhalt ist Klimaveränderung. In diversen Formaten im Fernsehen wie in Zeitungen wird über Wochen nur über die Form debattiert. Ab und an erlaubt man einer Person über den Inhalt zu sprechen, aber letztlich möchte man sich über die Form aufregen. Ich behaupte nun, man möchte sich ganz bewusst nicht inhaltlich damit befassen. Irgendwann fragte ich mich, ob all die Nasen überhaupt eigene Inhalte haben, oder ob sie nur hohle Blasen sind.

Das rechte Narrativ der cancel culture, nach der Gruppe A einer Person oder Gruppe B verböte sich zu äußern, wird oft verwendet, um über Form statt Inhalt zu sprechen. Person sagt etwas, Gruppe A kritisiert die Aussage und Person beschwert sich, nichts mehr sagen zu dürfen, statt auf die eigentliche Kritik, den Inhalt einzugehen. Die cancel culture existiert offensichtlich nicht, sonst gäbe es diese Situationen gar nicht, in der Gruppe A auf eine Aussage/Handlung seitens Person oder Gruppe B Bezug nehme. Würde cancel culture existieren, hätte man der Person ja bereits das Mikrofon entnommen und es gäbe nichts zu kritisieren.
Ähnlich verhält es sich bei Leuten, die nach Kritik an ihnen sagen, es gülte ja Meinungsfreiheit. Die gilt ja auch, weshalb sie ja etwas sagen können, auf das Andere wiederrum Bezug nehmen. Ohne diese Freiheit, hätten sie erst gar nichts sagen können und entsprechend könnten sie sich auch nicht beschweren und auf die vermeintlich fehlende Meinungsfreiheit berufen.
Was sie eigentlich nicht wollen, ist Kritik. Meinungsfreiheit gilt, aber es kann niemand gezwungen werden, jedem Idioten zuzuhören oder jede Aussage unkommentiert stehen zu lassen.

Die Debattenkultur dreht sich viel um Form und will möglichst Inhalte vermeiden. Fast wie Grundsatzdiskussionen, wenn ein Jahrzehnte altes Problem erneut erörtert werden muss, so als hätte man noch nie darüber gesprochen. So ignoriert man jeden Erfolg der letzten Debatten und kommt null voran, weil man immer wieder von vorne beginnt.

Das nervt mich so arg. Weil immer absehbar ist, von welchen Gruppen und Menschen so Verhalten kommt, wünschte ich mir ein wenig, diese wirklich zu canceln, nicht zu Wort kommen und diejenigen sprechen zu lassen, die ernsthaft an Fortschritt und Lösungen interessiert sind.

Genauso wünschte ich mir bei all den negativen Nachrichten manchmal, auf heile Welt machen zu können, wie ein unwissendes Kind. Tabula Rasa. Aber beides ist natürlich Quatsch. Wirkliche Entwicklung geht nur konstruktiv mit allen Fassetten, ohne Ignoranz.

Die Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit Wissen und Austausch, der Sehnsucht Tabula Rasa zu machen und der Erkenntnis, wie naiv dies wäre und wie unabdingbar alle Fassetten einer Sache sind, um Weiterentwicklung zu ermöglichen.